…und weitere Vorurteile

Ich arbeite seit über sieben Jahren als Lehrerin an einer Privatschule. Seit fast 2,5 Jahren bin ich die Grundschulleitung. Ich habe mein Referendariat wie üblich an einer staatlichen Schule gemacht, treffe auf Fortbildungen überwiegend Lehrer:innen aus staatlichen Schulen, folge ihnen auf Instagram und auch diejenigen aus meinem Bekanntenkreis, die ich aus dem Studium, meiner eigenen Schulzeit oder dem Nebenjob kenne, sind heute alle an staatlichen Schulen. Und ja, auch in den Medien sind die staatlichen Schulen überrepräsentiert. Das ist verständlich, denn es gibt in Deutschland insgesamt nur knapp 6000 Privatschulen, aber knapp 32.000 allgemeinbildende staatliche Schulen und nur ca. 10 Prozent der Schüler:innen besuchen eine Privatschule.

Immer wieder bin ich in den letzten Jahren über Vorurteile gestolpert, mit denen ich hier -vielleicht- aufräumen kann. Dabei spreche ich allerdings nur über meinen Erfahrungsstand aus meinem Bundesland.

1. Wenn ein Kind eine Privatschule besucht, wird es danach nicht auf einer staatlichen Schule angenommen

Falsch! Das Schulsystem ist durchlässig. Es kommt immer wieder vor, dass Schüler:innen von der staatlichen Schule zu uns oder von uns auf eine staatliche Schule wechseln. Sowohl die Grundschulen als auch weiterführenden Schulen sind daran gewöhnt, dass es verschiedene Zeugnisse und Curricula gibt. Solange ein Platz da ist und es keine weiteren Gründe gibt, die gegen eine Aufnahme sprechen, ist der Weg frei.

2. Nicht jeder kann sich eine Privatschule finaziell leisten

Teilweise richtig! Um staatlich anerkannt zu sein, dürfen Privatschulen nur einen maximalen Beitrag von den Eltern verlangen. Es gibt aber durchaus auch Privatschulen, die das umgehen, z.B. indem Eltern dem Einkommen entsprechend Beiträge an den Schulförderverein zahlen müssen. Kirchliche Schulen erheben unter Umständen zudem ein Schulgeld, welches unter dem Höchstsatz liegt. Schulen, die ihre Schüler nicht nach dem Haushalteinkommen auswählen, ermöglichen in der Regel auch Schulgeldreduzierungen. Das ist dann möglich, wenn es genug vollzahlende Eltern an der Schule gibt, und weil das Bundesland der Schule für jede:n Schüler:in einen bestimmten Betrag zahlt. Im Übrigen sind viele Privatschulen dennoch auf gutsituierte Eltern angewiesen, die auch bereit sind, hin und wieder etwas Geld zu spenden. Im Gegensatz zu staatlichen Schulen müssen Privatschulen alles selbst finanzieren. Bei einem Klettergerüst kommen da locker mal 25.000 Euro zusammen. Das Geld liegt meist nicht einfach so im Tresor im Schulkeller…

3. Lehrer:innen an Privatschulen sind schlechter ausgebildet oder Die Lehrer:innen an Privatschulen haben woanders nichts bekommen

Falsch! Die Anerkennung der Lehrer:innen an Privatschulen obliegt der Schulaufsicht. Hier muss die Schule eine Befähigung nachweisen, die der an staatlichen Schulen entspricht (sofern die Schule staatlich anerkannt ist). Genauso wie an staatlichen Schulen, können aber auch Quereinsteiger eingestellt werden (zum Beispiel Mathematiker ohne Lehramtstudium als Mathematiklehrer). Um eine Schule zu leiten benötigt man aber das 2. Staatsexamen oder einen vergleichbaren Abschluss. Was, zumindest bei uns an der Schule anders ist, ist, dass wir vergleichsweise viele Lehrer: innen einstellen, die ihre Ausbildung im Ausland absolviert haben. Deren Abschluss entspricht dann aber dem, den ich habe. Genau so wie an staatlichen Schulen, werden auch an Privatschulen die Lehrer:innen häufig durch Erzieher:innen, Sozialpädagog: innen oder Studierende unterstützt.

Gleichzeitig ist es auch so, dass man sich als Lehrer:in bewusst dafür entscheiden muss, an einer Privatschule zu arbeiten (s.a. Punkt 4). Gerade 2015, als viele Schulen mit einer Flut an Flüchtlingen zu kämpfen hatten, hätten die staatlichen Schulen jede:n Leher:in, egal wie schlecht das Examen war, mit Kusshand genommen.

4. Lehrkräfte an Privatschulen werden schlechter bezahlt als an staatlichen Schulen

Teilweise richtig! Der Spielraum für Privatschulen ist definitv größer, weil sie sich nicht nach den Tarifen des Landes richten müssen. Außerdem kommt hinzu, dass Lehrer:innen an Privatschulen in der Regel nicht verbeamtet sind und somit höhere Abgaben zu zahlen haben. D.h. um auf das selbe Nettogehalt zu kommen wie verbeamtete Lehrer, benötigen die Lehrer:innen ein höheres Bruttogehalt. Außerdem müssen sie, um im Alter genauso abgesichert zu sein, privat noch etwas zur Seite packen, während verbeamtete Lehrer mit einer netten Pension rechnen können. Dass sich nicht jede Privatschule eine entsprechend höhere Gehaltszahlung leisten kann, steht für mich außer Frage. Zu vielen Schulen fühlen sich Lehrkräfte aber auch aufgrund des Konzeptes hingezogen.

5. … da haben Eltern bestimmt ganz hohe Ansprüche an ihre Kinder…

Teilweise richtig! Je nach Klientel der Schule sind auch die Eltern verschieden. Bei uns gibt es Eltern mit ganz unterschiedlicher Einstellung. Einige wollen, dass ihr Kind unbedingt Arzt wird, die nächsten nur, dass es gern zur Schule geht und wieder die nächsten haben weder Ansprüche noch Erwartungen. So ähnlich wird, je nach Einzugsgebiet, auch die Elternschaft an einer staatlichen im Schule aussehen.

6. An einer Privatschule sind die Klassen zwangsläufig kleiner

Falsch! Privatschulen müssen sehr etabliert sein und finanziell gut aufgestellt, um sich sehr kleine Klassen leisten zu können. Wie oben beschrieben, sind Privatschulen auf die Schülerzahlen angewiesen. Man kann es ja einmal hochrechnen, wobei ich hier hypothetische Zahlen nehme. Sagen wir, für eine:n Schüler:in erhält die Schule 500€ im Monat und der Klassenlehrer mit einer vollen Stelle verdient 4000 im Monat. Dann benötigen wir acht Schüler:innen, um diesen Lehrer zu bezahlen. Davon ist dann noch kein Geld in den Raum, die Heizung, den Strom, das Sekretariat, die Schulleitung, die Hausmeister, die Hauswirtschafterin, die Instandhaltung, die Reinigung, die Möbel, die in Teilen vergleichsweise bessere Ausstattung z.B. durch Smartboards, Lehrerzimmer, Fortbildungen, Renovierungen etc. geflossen. Hinzu kommt, dass der Klassenlehrer allein den Unterricht mit seiner Stelle in der Klasse nicht abdecken kann und somit rein rechnerich mindestens ein:e zweite:r Lehrer:in bezahlt werden muss. Nun steht die Schule bei 24 Schüler:innen vor der Wahl, entweder aus einer Klasse zwei kleine zu machen oder eben eine mit 24 Schüler:innen. Die Rechnung ist einfach…Die Klassengrößen sind in der Regel also nicht zwangsläufig deutlich kleiner als die an staatlichen Schulen.

7. Da man Schulgeld zahlt, bekommt man ein Rundumsorglospaket und das Kind die bestmögliche Bildung

Teilweise richtig! Jede Schule dieser Welt sollte dem Anspruch haben, ihren Schüler:innen die bestmögliche Ausbildung zu bieten!!!

Die Betreuung und Einbettung der Eltern ist je nach Schule und Umsetzungen an Privatschulen sicher teilweise eine bessere. Dass Schulgeld bezahlt wird, ändert aber nichts daran, dass mal ein Kind haut. Es ändert nichts daran, dass das Essen mal nicht schmeckt. Es ändert auch nichts daran, dass das Kind mal eine Klassenarbeit versemmelt, wenn es nicht geübt hat. Auch sind die Eltern trotz Ganztagsschule nicht davon befreit, sich auch aktiv mit dem Schulalltag der Kinder auseinanderzusetzen und gegebenenfalls mit dem Kind zu üben, wenn nötig. Und nein: Auch wir können beim Eintritt in die Vorschule nicht versprechen, dass Ihr Kind einmal das Abitur macht.

Im Allgemeinen kann man sich den Abschluss an einer Privatschule übrigens auch nicht “kaufen”. Die staatlichen Abschlüsse an Privatschule unterliegen den gleichen Anforderungen wie die Abschlüsse an staatlichen Schulen, einfach, weil es der gleiche Abschluss ist.

Eine weitere wichtige Ergänzung dazu: Viele denken, dass das Schulgeld etwas ist, was Privatschulen „on top” bekommen, dass die Schule damit also mehr Geld zur Verfügung hat als eine staatliche Schule. Auch als Privatschule bekommt man den Hauptanteil des Budgets von Staat, im Vergleich zur staatlichen Schulen jedoch nur 85% in Hamburg. Die fehlenden 15 % sollen durch das Schulgeld ausgeglichen werden, tun es aber nicht, da das Schulgeld vom Schulministerium für ein Bundesland pauschal festgelegt wird und nichts mit den tatsächlichen Kosten der Schule zu tun hat. Privatschulen sind also gegenüber staatlichen Schulen in Deutschland finanziell schlechter gestellt. In den USA oder England können die Schulen selbst entscheiden, wie hoch das Schulgeld liegt, im Einzelfall dann sogar 2000 bis 3000 € pro Monat. Deshalb sind Privatschulen in anderen Staaten mit denen in Deutschland aufgrund der sehr verschiedenen Ausgangsbedingungen kaum zu vergleichen.

8. Auf Privatschulen sammeln sich die “Reste-Kinder”

Falsch! Viele Eltern, die ihre Kinder in der Vorschule oder ersten Klasse in eine Privatschule einschulen, haben sich im Vorfeld sehr lange und intensiv mit der Schulauswahl beschäftigt. Die Entscheidung für eine Privatschule kann dann aus unterschiedlichen Gründen fallen: Das Schulkonzept, die Lenrgruppengröße, der Ruf der Schule, Auszeichnungen der Schule, sogar dieser Blog hier hat da wohl schon mal mit reingespielt (liebe Grüße an dieser Stelle- ich habe mich gefühlt wie ein Star, als ich davon erfuhr). Alles können mögliche Gründe für (aber natürlich auch gegen) eine bestimmte Schule sein. Tatsächlich ist es aber auch so, dass Eltern sich häufig nach alternativen Schulformen umschauen, wenn sie merken, dass das eigene Kind an der staatlichen Schule an seine Grenzen stößt. Hier sind in Anmeldegesprächen mit mir häufig genannte Gründe der häufige Unterrichtsausfall, Mobbing, zu geringe Forderung der Begabungen usw. Teilweise wechseln auch leistungsschwache Schüler:innen, weil die Eltern auf eine angemessenere Förderung hoffen. Und teilweise kommt es sicher in Ausnahmen auch zu Schul-Hopping, da die Eltern das Problem immer bei der jeweiligen Schule und auch nach der dritten Schule noch nicht beim Kind sehen. Es kommt selten vor, dass ein:e Schüler:in, die an einer anderen Schule sozial negativ aufgefallen ist, dann an einer Privatschule landet, die kein entsprechendes Konzept hat (falls das mit „Reste- Kindern” gemeint sein sollte…)

9. Abschlüsse von Privatschulen sind Türöffner um an tolle Studienplätze und Jobs zu kommen

Falsch! Natürlich gibt es durchaus Schulen, die sich regional einen Namen gemacht haben und wo Arbeitgeber:innen ein anerkennendes Kopfnicken herausschlüpfen wird. Allerdings sind wir hier nicht in den USA oder Großbritannien, wo Oxford mit Cambridge oder Harvard mit Yale konkurrieren. Vielmehr spielt der NC bei der Vergabe der Studienplätze eine Rolle als die Schule, wo das Abitur erlangt wurde. Dennoch: die Softskills, die die jeweile (Privat)Schule dem oder der Schüler:in vermittelt, unterscheiden sich schon. Wenn ein:e Absolvent:in als zweite Fremdsprache Chinesisch vorzuweisen hat, dann unterscheidet ihn oder sie das von den Tausenden, die Spanisch gewählt haben.

9. An Privatschulen gibt es viele coole Projekte

Richtig, aber… zum Glück haben sich Schulen in den letzten Jahren insgesamt weiterentwickelt. Es gibt Schulgärten, Projektwochen, Klassenräte und Tabletklassen an vielen staatlichen und auch privaten Schulen. Allerdings hat jede Privatschule in der Regel ein Alleinstellungsmerkmal, welches sie von anderen Schulen unterscheidet. In den kirchlichen Schulen ist es, na, du kommst gleich drauf, die Verbindung zur Kirche und die Einbindung der Religion in den Schulalltag. An einer Waldorfschule ist es die Ausrichtung auf die kindliche Freiheit, an der Montessorischule gibt es wiederum einen etwas anderen Schwerpunkt und so weiter. Je nach Schwerpunkt der Schule, werden sich also die Projekte der Schulen untereinander unterscheiden. Die meisten Schulen orientieren sich aber dennoch an einem Curriculum, teilweise auch am Lehrplan des jeweiligen Bundeslandes (womit wir wieder bei der staatlichen Anerkennung wären). Lesen, Schreiben, Rechnen sind somit die fachlichen Kernziele aller Schulen.

10. Privatschüler mobben, weil sie sich für etwas Besseres halten

Falsch! Ja, an Privatschulen kann es genau zu Konflikten, körperlichen Auseinandersetzungen und auch zu Mobbing kommen. Die Gründe dafür sind vielschichtig und sollen nicht Gegenstand dieses Beitrages sein. Aufgrund des häufig familiäreren Umgangs miteinander, fallen Anzeichen von Mobbing und dessen Strukturen an Privatschulen häufig schneller auf (auch das ist wieder nur meine Erfahrung). Wenn es zu Mobbing kommt, sind die Gründe unabhängig von der Schule häufig ein Über- oder Unterlegenheitsgefühl, welches dann durch Aggression kompensiert wird. Dies ist kein Privatschulphänomen. Im Gegensatz zu staatlichen Schulen haben Privatschulen, was Mobbing angeht, aber einen großen Vorteil: sie können häufig unbürokratischer agieren, zum Beispiel wenn es um Ordnungsmaßnahmen oder Schulwechsel geht.

Ihr seht also: Manche Vorurteile sind, zumindest teilweise richtig und ich habe wie gesagt nur aus meinen eigenen Erfahrungen gesprochen und natürliche ist die Bandbreite an Privatschulen riesig und auch die Verbreitung und gesellschaftliche Anerkennung in Deutschland je nach Region unterschiedlich. Daher mag nicht alles, was ich hier beschrieben habe auf jede Privatschule übertragbar sein. Sicher wird mir, wenn ich gleich auf dem Sofa lümmle und mir am letzten Ferientag ein Gläschen Weißwein gönne, wie immer ganz viel einfallen, was ich jetzt alles nicht aufgeschrieben habe.

Bei einem Absatz hat mir Axel Beyer geholfen.

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